EuGH: Wann ist ein Flugzeug "angekommen"?

Wilfried Pecka, 21.09.2014

Ein Flug einer deutschen Fluggesellschaft von Salzburg nach Köln/Bonn flog verspätet aus Salzburg ab und kam in Köln/Bonn mit einer dreistündigen Verspätung an. Nach der EU-Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) stünde im Fall einer Ankunftsverzögerung dieses Fluges gegen die Fluggesellschaft einer pauschaler Ausgleichsanspruch in Höhe von 250,00 Euro zu, sofern der Flug später als 3 Stunden wie geplant am Zielort angekommen ist. Im konkreten Fall setzte das Flugzeug 2 Stunden und 58 Minuten nach der ursprünglich vorgesehenen Ankunftszeit mit den Rädern am Boden auf. Danach dauerte es aber noch 5 Minuten, bis das Flugzeug seine Parkposition erreicht hatte und die Passagiere aussteigen konnten. Zu diesem Zweck wurde die Türe des Flugzeugs 3 Stunden und 3 Minuten nach der ursprünglich vorgesehenen Ankunftszeit geöffnet. Daraus entwickelte sich ein Rechtsstreit um die Frage, wann ein Flug tatsächlich als "angekommen" gilt.

Die deutsche Fluggesellschaft war der Ansicht, dass der Flug im dem Zeitpunkt "angekommen" war, als die Räder die Landebahn am Zielflughafen berührt hatten. Daher verweigerte sie die Entschädigungszahlung, weil ihrer Ansicht nach das Flugzeug um zwei Minuten weniger als drei Stunden verspätet ankam. Der Fluggast klagte auf die Entschädigung, und das (österreichische) Gericht gab ihm in erster Instanz recht: Es war der Auffassung, dass die tatsächliche Ankunftszeit der Zeitpunkt sei, zu dem die Türe zum Verlassen des Flugzeugs geöffnet wird. Nachdem das Öffnen der Flugzeugtüre erst 3 Stunden und drei Minuten nach der ursprünglich vereinbarten Ankunftszeit erfolgte, verurteilte das Gericht die Fluggesellschaft zur Zahlung von 250,00 Euro an den Fluggast. Die Fluggesellschaft erhob gegen dieses Urteil Berufung.

Das mit der Berufung befasste Landesgericht Salzburg setzte das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof die Frage nach dem Ankunftszeitpunkt eines Flugzeuges zur Vorabentscheidung vor. Zur Definition des Ankunftszeitpunktes seien vier verschiedene Möglichkeiten denkbar, nämlich a) das Aufsetzen der Räder, b) das Anbringen der Bremsklötze, c) das Öffnen der Flugzeugtür, oder d) ein im Beförderungsvertrag definierter Zeitpunkt. In der EU-Verordnung 261/2004, welche je nach Entfernungen und Ankunftsverzögerungen gestaffelte pauschalierte Ausgleichsansprüche festlegt, fehlt eine solche Definition.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte vorab fest, dass die Variante d) (ein im Beförderungsvertrag definierter Zeitpunkt) auszuschließen ist, weil in der EU-Verordnung nichts entsprechendes vorgesehen ist. "Der Begriff „tatsächliche Ankunftszeit“ ist daher so auszulegen, dass er in der Union einheitlich angewandt wird". Fluggäste, deren Flug verspätet ist, erleiden dadurch einen irreversiblen Zeitverlust, welcher durch die pauschalierten Ausgleichsansprüche der EU-Verordnung zu entschädigen ist. Dieser Zeitverlust endet aber nicht schon dann, wenn die Räder des Flugzeuges am Boden aufsetzen. "Während des Fluges haben sich die Fluggäste nämlich nach Weisungen und unter der Kontrolle des Luftfahrtunternehmens in einem geschlossenen Raum aufzuhalten, in dem ihre Möglichkeiten, mit der Außenwelt zu kommunizieren, aus technischen und aus Sicherheitsgründen erheblich beschränkt sind. Unter solchen Umständen können sich die Fluggäste nicht weiter um ihre persönlichen, familiären, sozialen oder beruflichen Angelegenheiten kümmern. Erst wenn der Flug beendet ist, können sie sich wieder in gewohnter Weise betätigen". Diese Situation ändert sich aber weder dadurch, indem die Flugzeugräder die Landebahn berühren, noch ändert sie sich, wenn die Bremsklötze angebracht werden. "Erst wenn den Fluggästen das Verlassen des Flugzeugs gestattet ist und dafür das Öffnen der Flugzeugtüren angeordnet wird, können sie sich grundsätzlich wieder in gewohnter Weise betätigen, ohne den genannten Einschränkungen zu unterliegen".

Auch wenn andere Verordnungen und IATA-Dokumente bei der Ankunftszeit auf das Anbringen der Bremsklötze abstellt, ändert das nach Ansicht des EuGH nichts: Eine solche Definition mag durchaus für luftfahrtorganisatorische Aspekte geeignet sein. Die Fluggastrechteverordnung 261/2004 dient jedoch dazu; Fluggäste vor den Zeitverlusten einer Annullierung oder Verspätung zu schützen, also ist im Sinn dieser Richtlinie auf einen anderen Ankunftszeitpunkt abzustellen. Somit gilt nach dem EuGH-Urteil C452/13 als "Ankunftszeit" eines Fluges zum Zweck der Beurteilung, ob eine Verspätungsentschädigung zusteht, der Zeitpunkt, zu dem mindestens eine der Flugzeugtüren geöffnet wird. Als wichtig erschien dem EuGH dazu auch noch eine Ergänzung in Form des Nachsatzes "sofern den Fluggästen in diesem Moment das Verlassen des Flugzeuges gestattet ist".  

 © Wilfried Pecka