OGH: Einvernehmliche Lösungen und
Überstundenpauschalen Wilfried Pecka, 15.03.2014 Der
Arbeitsvertrag einer Assistentin der Geschäftsleitung war so gestaltet, dass
sie das kollektivvertragliche Mindestentgelt und zusätzlich eine Überzahlung
erhielt, mit der alle anfallenden Überstunden in Form einer
Überstundenpauschale abgegolten waren. Weiters erhielt sie ein
Dienstfahrzeug, das sie auch privat nutzen konnte. Dieses Arbeitsverhältnis
wurde später einvernehmlich wieder aufgelöst. Die Auflösungsvereinbarung
enthielt unter anderem folgende Textpassage: „Hiermit wird das
Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 30. November 2010 beendet. Für 24.
November 2010 wurde ein Urlaubsverbrauch vereinbart, ab 25. November 2010 bis
30. November 2010 wurde Frau M***** freigestellt. Der verbleibenden
Resturlaub von sechs Werktagen wird finanziell abgegolten.“ Danach
urgierte die Arbeitnehmerin ihre bisher noch nicht bezahlten Überstunden
(nämlich die zusätzlich geleisteten Überstunden, welche über die Deckung
durch die vereinbarte Überstundenpauschale hinaus gingen). Die
Auseinandersetzung landete bei Gericht, der Rechtsstreit durchlief alle drei
Instanzen. In seinem dazu ergangenen Urteil 9 ObA 166/13x setzte sich der
Oberste Gerichtshof mit einer ganzen Fülle von arbeitsrechtlichen Fragen auseinander, welche im
täglichen Arbeitsalltag immer wieder auftauchen.
Stillschweigender Verzicht durch Abschluss der Auflösungsvereinbarung: Die
beklagte Arbeitgeberin brachte vor, dass die Klägerin bei der
einvernehmlichen Beendigung die noch behaupteten Ansprüche auf
Überstundenentlohnung bewusst verschwiegen habe. Somit habe sie durch den
Abschluss der Auflösungsvereinbarung stillschweigend darauf verzichtet. Das
sahen die Gerichte (und zuletzt auch der OGH) aber anders: "Bei
Beurteilung der Frage, ob auf ein Recht stillschweigend verzichtet wurde, ist
besondere Vorsicht geboten [...]. Ein stillschweigender Verzicht des
Arbeitnehmers auf Überstundenentlohnung durch nicht sofortige Geltendmachung
der Überstunden ist immer erst dann anzunehmen, wenn die verspätete
Geltendmachung der Ansprüche im konkreten Fall mit Berücksichtigung der
besonderen Umstände gegen Treu und Glauben verstößt". Ein solcher
Verstoß gegen Treu und Glauben war aber im konkreten Fall nicht erkennbar. Deckung von geleisteten Überstunden durch eine vereinbarte
Überstundenpauschale: Dazu
gibt es eine ständige Judikatur zu All-In-Verträgen: Vereinbarte
Überstundenpauschalen decken tatsächlich geleistete Überstunden nur in dem
Ausmaß ab, soweit sie nicht hinter den unabdingbaren gesetzlichen Ansprüchen
auf Vergütung der Mehrarbeit zurück bleiben. Werden darüber hinausgehend
Überstunden geleistet, so sind diese trotz der vereinbarten
Überstundenpauschale noch zusätzlich zu entlohnen. "Die Überprüfung,
inwieweit erbrachte Überstunden durch eine Überstundenpauschale tatsächlich
abgedeckt sind, obliegt grundsätzlich dem Arbeitgeber". Im konkreten
Fall war der Arbeitgeberin bewusst, dass die Klägerin sehr viele Überstunden
geleistet hatte. Geltendmachung von Ansprüchen: Die
Arbeitgeberin wandte ein, dass gemäß einer Verfallsklausel im
Kollektivvertrag die Überstundenentlohnung binnen vier Monaten nach dem Tag
der Überstundenleistung geltend gemacht werden muss. Danach erlischt der
Anspruch. Dagegen wandte die Klägerin ein, dass sie ohnehin regelmäßig ihre
Arbeitszeit erfasst hat, was als "Geltendmachung" zu betrachten
war. Diese Meinung teilte das Gericht nicht: "Hervorzuheben ist, dass
die Rechtsprechung für eine ausreichende Geltendmachung von
Überstundenentgelt zwar kein förmliches Einmahnen, wohl aber ein dem
Erklärungsempfänger zumindest erkennbares ernstliches Fordern einer Leistung
im Sinn einer wenigstens aus den Umständen zu erschließenden Willenserklärung
versteht; dabei kommt es auf das Verständnis an, das ein redlicher
Erklärungsempfänger gewinnen durfte". Dieses "ernstliche
Fordern" hatte die Klägerin verabsäumt. Auf Grund der weiteren
Überlegungen des OGH konnte sie aber mit ihren Forderungen trotzdem durchdringen. Durchrechnung
von Überstundenpauschalen, Auslegung eines Kollektivvertrags: Zur
Frage der Prüfung der Unterdeckung einer vereinbarten Überstundenpauschale
setzte sich der OGH mit dem Problem auseinander, wann genau die erste
Überstunde geleistet wurde, welche in der vereinbarten Pauschale keine
Deckung mehr findet. In diesem Zusammenhang durchleuchtete er auch kritisch
die Interpretation der Bestimmung des Kollektivvertrages, die für die
Geltendmachung des Überstundenentgelts eine viermonatige Verfallsfrist
vorsah. Es kann ja erst nach einem gewissen Beobachtungszeitraum errechnet
werden, "ob überhaupt Überstunden vorliegen, die neben einer
Pauschale noch gesondert zu entlohnen sind. Vernünftigen
Kollektivvertragsparteien kann aber nicht unterstellt werden, dass die
Verfallsfrist auch für die Entlohnung dieser Überstunden bereits zu einem
Zeitpunkt zu laufen beginnen sollte, in dem die Berechtigung des Anspruchs
noch nicht feststellbar ist". Zur Frage des Durchrechnungszeitraums
von Überstundenpauschalen lautet die ständige Rechtsprechung des OGH: "Durchrechnungszeitraum
für Überstundenpauschale ist (mangels abweichender Vereinbarung) das
Kalenderjahr". Das dagegen vorgebrachte Argument der Arbeitgeberin,
dass der Kollektivvertrag durch die Vereinbarung einer viermonatigen
Verfallsfrist eine davon abweichende Vereinbarung getroffen habe, ließ der
OGH nicht gelten: "Da den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich
unterstellt werden darf, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und
praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der
sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, ist bei
mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle
anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben, die diesen
Anforderungen am meisten entspricht". Der Beginn der Frist von vier
Monaten kann zwar dann angewandt werden, wenn Überstunden geleistet werden,
für die keine Überstundenpauschale vereinbart wurde. Im zu beurteilenden Fall
ging es aber um die zusätzlich geleisteten Überstunden, für die auf Grund der
Unterdeckung der Überstundenpauschale noch ein zusätzliches Entgelt zustand.
Der Beginn der Verfallsfrist aus solchen Ansprüchen ist nach Ansicht des OGH
von der viermonatigen Frist des Kollektivvertrags nicht mehr erfasst, sondern
es ist von einem einjährigen Durchrechnungszeitraum auszugehen. Die Klägerin
hatte somit ihre Ansprüche noch rechtzeitig geltend gemacht, und die
Arbeitgeberin wurde zur Zahlung der von der Pauschale nicht mehr gedeckten
Überstunden verurteilt. |
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