Banken: Zinssatzerhöhungen durch Schweigen des Kunden

Wilfried Pecka, 16.10.2013

Sehr zum Ärgernis vieler Kreditkunden wurden diese von ihrer Bank angeschrieben, dass es der Bank auf Grund der globalen Finanzmarktkrise nicht mehr möglich sei, den ursprünglich vereinbarten Aufschlag zum Referenzzinssatz darzustellen. Man bäte daher um Verständnis, dass dieser Zinszuschlag angehoben werden müsse. Diese Änderung gelte auf auf Grund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen als wirksam vereinbart, wenn der Kunde nicht innerhalb von acht Wochen schriftlich widerspricht. Viele der Kunden trauten sich nicht, zu widersprechen, weil sie Angst hatten, die Gunst ihres Kreditgebers (oder gar ihren Kredit) zu verlieren oder andere Nachteile befürchteten. Andere übersahen diese Frist einfach. Als Ergebnis wurde ihnen in weiterer Folge der Zinssatz erhöht. Diejenigen, welche die achtwöchige Frist für einen schriftlichen Widerspruch nützten, blieben hingegen von der Zinserhöhung verschont.

Die Bank bediente sich bei diesem Vorgehen der "Erklärungsfiktion", welche sie in ihren Geschäftsbedingungen verankert hatte: "[...] Änderungen der Entgelte sowie Änderungen des Leistungsumfangs oder der Verzinsung sind nur mit Zustimmung des Kunden möglich. Solche Änderungen werden zwei Monate nach Verständigung des Kunden über die vom Kreditinstitut gewünschte Änderung wirksam, sofern nicht bis dahin ein schriftlicher Widerspruch des Kunden beim Kreditinstitut einlangt. Das Kreditinstitut wird den Kunden in der Verständigung auf die jeweils gewünschte Änderung sowie darauf aufmerksam machen, dass sein Stillschweigen mit Fristablauf als Zustimmung gilt". Die Willenserklärung zu einer Vertragsänderung wird also umgedreht: Nicht der Kunde als Vertragspartner muss ausdrücklich erklären, dass er damit einverstanden ist, sondern die Änderung wird ihm vorgegeben und danach auf einen etwaigen Widerspruch von ihm gewartet. Auf Grund einer Verbandsklage des Vereins für Konsumenteninformation hat sich nun der OGH mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein solches Vorgehen überhaupt zulässig ist.

Erklärungsfiktionen sind grundsätzlich eine sehr problematische Angelegenheit. Würde man diese uferlos zulassen, so würden die Menschen über kurz oder lang mit derartigen Erklärungsfiktionen überschwemmt werden. Irgend wann verliert dann jeder den Überblick darüber, innerhalb welcher Frist er wem einen Widerspruch schicken muss, und würde damit gegen seinen Willen jede Menge Verträge abschließen (oder bestehende Verträge zu seinem Nachteil abändern). Aus diesem Grund hat auch das Konsumentenschutzgesetz (KSchG) solchen Erklärungsfiktionen einen Riegel vorgeschoben: Einerseits sind gemäß § 6 Abs 1 Z 2 KSchG Vertragsbestimmungen nicht verbindlich, nach denen "ein bestimmtes Verhalten des Verbrauchers als Abgabe oder Nichtabgabe einer Erklärung gilt, es sei denn, der Verbraucher wird bei Beginn der hiefür vorgesehenen Frist auf die Bedeutung seines Verhaltens besonders hingewiesen und hat zur Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung eine angemessene Frist". Andererseits aber gilt gemäß § 6 Abs 2 Z 3 das Gleiche auch für Vertragsbestimmungen, welche nicht im Einzelnen ausgehandelt worden sind (die also lediglich einseitig in Vertragsformblättern vorgelegt und zur Kenntnis genommen werden), nach denen "der Unternehmer eine von ihm zu erbringende Leistung einseitig ändern oder von ihr abweichen kann, es sei denn, die Änderung beziehungsweise Abweichung ist dem Verbraucher zumutbar, besonders weil sie geringfügig und sachlich gerechtfertigt ist". Gemäß § 3 Abs § KSchG ist "eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung [...] unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist". Diese Bestimmungen des KSchG gelten nur für Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern. Weitaus allgemeiner (also auch gegenüber Nicht-Verbrauchern) schreibt zusätzlich § 864a ABGB vor: "Bestimmungen ungewöhnlichen Inhaltes in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern, die ein Vertragsteil verwendet hat, werden nicht Vertragsbestandteil, wenn sie dem anderen Teil nachteilig sind und er mit ihnen auch nach den Umständen, vor allem nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde, nicht zu rechnen brauchte; es sei denn, der eine Vertragsteil hat den anderen besonders darauf hingewiesen". Schließlich schreibt § 879 ABGB vor, dass ein Vertrag nichtig ist, wenn er gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstößt, und dass "eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen [AGB] oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, [...] jedenfalls nichtig [ist], wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Teil gröblich benachteiligt".

Vor dem Gesichtspunkt aller dieser Bestimmungen musste sich also der OGH mit der Frage beschäftigen, ob diese konkrete Vertragsbestimmung der Bank, welche eine einseitige Zinssatzerhöhung mittels Erklärungsfiktion vorsieht, überhaupt zulässig ist oder nicht. Geklagt wurde die Bank auf Unterlassung, diese Vertragsklausel weiterhin zu verwenden oder sich gegenüber ihren Kunden darauf zu berufen. Der OGH berief sich in seiner Entscheidung 2 Ob 131/12x auf ein vorher ergangenes Urteil (1 Ob 210/12g), wo er bereits eine sehr ähnliche Klausel zu beurteilen hatte. Zu dieser wurde entschieden, dass sie gegen das Transparenzgebot (§ 6 Abs 3 KSchG) und gegen das Benachteiligungsverbot (§ 879 Abs 3 ABGB) verstößt: Eine Klausel, welche Vertragsänderungen über eine Zustimmungsfiktion nahezu unbeschränkt zulässt, sei sowohl intransparent als auch benachteiligend. Weiters seien aber auch in der Umsetzung der "EU-Klausel-Richlinie" (93/13/EWG) durch den § 6 Abs 3 KSchG unklare und unverständliche Vertragsbestimmungen unwirksam. Somit sei aber auch keine "geltungserhaltende Reduktion" dieser Klausel möglich, durch die ihr Sinn auf ein gerade noch erträgliches Maß herunterinterpretiert werden kann. Zu dieser Problematik hat der OGH in einer früheren Entscheidung festgestellt, dass der Richter nicht die Aufgabe hat, "sich durch geltungserhaltende Reduktion zum Sachwalter des Verwenders der AGB zu machen" (RS0038205). Die Verwendung dieser Klausel wurde daher zur Gänze untersagt. Sollten Banken auf Grund einer solchen Vertragsklausel eine Zinssatzerhöhung vorgenommen haben, muss diese wieder richtig gestellt werden.
 

 © Wilfried Pecka