|
Flugannullierung: Ausgleichsanspruch
bei außergewöhnlichen Umständen?
Wilfried
Pecka, 11.08.2013
Kurz vor Weihnachten 2010 wollte eine Frau von
London nach Wien fliegen. Da dem Flughafenbetreiber die Enteisungsmittel
ausgegangen waren, betrieb er nur eine Rollbahn. Darüber informierte er die
Fluggesellschaft, welche deshalb zwei von drei Flügen zu annullieren hatte.
Einer der annullierten Flüge war der Flug der Passagierin. Unterstützung
wurde ihr keine angeboten, und nachdem sie die Nacht in der Abflughalle
verbracht hatte, organisierte sie sich am nächsten Morgen selbst einen
anderen Flug nach Wien. Danach klagte sie das Flugunternehmen auf Ersatz der
Kosten des von ihr selbst gebuchten Flugtickets, zuzüglich einer
Ausgleichszahlung in Höhe von 250,00 Euro auf Grund der
EU-Fluggastrechteverordnung (261/2004/EG).
Die Fluggesellschaft wandte ein, dass der Flug auf Grund außergewöhnlicher
Umstände (nämlich der schlechten Wetterlage) nicht zustande gekommen sei.
Nach der EU-Fluggastrechteverordnung sei sie nicht zur Leistung der
Ausgleichszahlung verpflichtet, wenn die Annullierung auf außergewöhnliche
Umstände zurückgeht. Weiters sei sie durch die höhere Gewalt auch von ihrer
Leistungspflicht befreit gewesen, weshalb sie auch nicht für eine
anderweitige Beförderung sorgen musste. Das Gericht folgte dieser
Argumentation allerdings nicht und verurteilte die Fluggesellschaft: Die
Ausnahmebestimmungen der EU-Fluggastrechteverordnung schränken die Befreiung
des Flugunternehmens von der Ausgleichszahlung wegen höherer Gewalt insofern
ein, dass das Flugunternehmen beweisen muss, alle zumutbaren Maßnahmen
ergriffen zu haben, um die Annullierung zu vermeiden. Die Fluggesellschaft
ging gegen dieses Urteil in Berufung und erhob zuletzt Revision an den OGH,
welcher in 7 Ob 65/13d über den Fall entschied:
Im Fall der Annullierung eines Fluges sieht die EU-Fluggastrechteverordnung
(261/2004/EG) hinsichtlich der Ansprüche auf anderweitige Beförderung,
Betreuungsleistungen (Mahlzeiten und Erfrischungen), Hotelunterbringung und
Kommunikationsmittel (Telefonate, E-Mails, etc.) keine Ausnahme vor, dass der
Flug etwa auf Grund von außergewöhnlichen Umständen annulliert werden musste:
"Bei der Annullierung eines Fluges gewährt Art 5 Abs 1 der VO ohne jede
Einschränkung die Unterstützungsleistungen nach Art 8 (Erstattung der Flugscheinkosten
und kostenfreien Rückflug zum Abflugort oder anderweitige Beförderung), die
Betreuungsleistungen nach Art 9 Abs 1a (angemessene Mahlzeiten und
Erfrischungen), Art 9 Abs 1b (Hotelunterbringung und Transfer bei einem
Ersatzflug am nächsten Tag) und Art 9 Abs 2 (Kommunikationsmittel). Diese
Ansprüche bestehen unabhängig davon, ob die Annullierung rechtzeitig bekannt
gegeben wurde oder das Luftfahrtunternehmen sich nach Art 5 Abs 3 der VO auf
außergewöhnliche unvermeidbare Umstände als Entlastung berufen
kann".
Anders ist die Verpflichtung zu einer Ausgleichszahlung (in diesem Fall 250,00 Euro)
zu beurteilen, welche nach der EU-Fluggastrechteverordnung wegen einer Nichtbeförderung,
einer Annullierung, oder einer Verspätung über ein bestimmtes Ausmaß
zusteht: Bei einer Annullierung eines Fluges kann sich das Flugunternehmen zu
seiner Entlastung auf außergewöhnliche Umstände berufen: "Die
Ausgleichsleistung ist nach Art 5 Abs 3 der VO nicht zu leisten, wenn das
ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die Annullierung auf
außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten
vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden
wären".
Nun werden die "außergewöhnlichen Umstände" zwar in der
EU-Fluggastrechteverordnung nicht definiert. Allerdings finden sich die
Intentionen des EU-Gesetzgebers bei der Erlassung der Verordnung in den Erwägungsgründen. Dazu führte der OGH unter Zitierung einer früheren
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, C-549/07) aus:
"Aus dem zwölften Erwägungsgrund und Art 5 der VO gehe hervor, dass der
Gemeinschaftsgesetzgeber das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die
Fluggästen durch die Annullierung von Flügen entstünden, habe verringern
wollen, indem er die Luftfahrtunternehmen veranlasse, Annullierungen im
Voraus anzukündigen und unter bestimmten Umständen eine anderweitige
Beförderung anzubieten, die bestimmten Kriterien entspreche. Für den Fall,
dass die Luftfahrtunternehmen solche Maßnahmen nicht ergreifen könnten, habe
der Gemeinschaftsgesetzgeber gewollt, dass sie den Fluggästen einen Ausgleich
leisten, sofern die Annullierung nicht auf außergewöhnliche Umstände
zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle
zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären". Weiters führt der OGH dazu
aus: "Aus dem vierten Erwägungsgrund der Verordnung gehe hervor, dass
solche Umstände insbesondere bei politischer Instabilität, mit der
Durchführung des Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen,
Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines
Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten könnten. Aus
dieser Angabe in den Erwägungsgründen gehe hervor, dass der
Gemeinschaftsgesetzgeber die genannten Vorkommnisse, deren Aufzählung im
Übrigen nur Hinweischarakter habe, nicht selbst als außergewöhnliche Umstände
angesehen habe, sondern nur ausdrücken habe wollen, dass sie solche Umstände
eintreten lassen könnten. Daraus folge, dass nicht alle Umstände, die mit
solchen Vorkommnissen einhergingen, unbedingt Gründe für eine Befreiung von
der in Art 5 Abs 1 lit c dieser VO niedergelegten Ausgleichspflicht
darstellten".
Für den konkreten Fall bedeutet das:
Die im vierten Erwägungsgrund der EU-Fluggastrechteverordnung beispielhaft aufgelisteten Vorkommnisse
"politische Instabilität", "Wetterbedingungen",
"Sicherheitsrisiken", "unerwartete Flugsicherheitsmängel"
oder "Streiks" sind durchaus geeignet, außergewöhnliche Umstände
darzustellen, welche das Flugunternehmen von der Ausgleichszahlung wegen der
Annullierung eines Fluges befreien
könnten. Allerdings wollte der EU-Gesetzgeber damit nicht anordnen, dass
jedes dieser Ereignisse das Flugunternehmen automatisch von seiner
Verantwortung entbindet. Trotz des Vorliegens eines solchen Umstandes muss
das Flugunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die Annullierung zu vermeiden. Der OGH führt dazu auch konkret aus: "Das heißt
vor allem, dass ungünstige Wetterbedingungen allein lediglich indikativ sind
und das Luftfahrtunternehmen darlegen muss, dass trotz der ungünstigen
Wetterbedingungen mit zumutbaren Maßnahmen eine Annullierung nicht zu vermeiden
war. Zumutbare Maßnahmen können beispielsweise die Benutzung eines nahe
gelegenen Ersatzflughafens oder allenfalls das Warten auf günstigere
Wetterbedingungen sein". Das Flugunternehmen hat also zu beweisen, dass
es derartige Maßnahmen getroffen hatte (bzw. hat es zu beweisen, dass ihm
bestimmte Maßnahmen nicht zumutbar gewesen wären). Im konkreten Fall hat sich
das Flugunternehmen aber nicht einmal die Mühe genommen, eine derartige
Maßnahme auch nur zu behaupten: "Die Beklagte hat etwa nicht einmal
dargetan, aus welchen Gründen die naheliegendste Maßnahme, nämlich die
Umbuchung des Fluges [...] auf einen Flug, der durchgeführt
wurde, nicht möglich gewesen wäre".
© Wilfried Pecka
|
|
|