Linienbus: Spurwechsel nach Ausfahrt aus der Haltestelle

Wilfried Pecka, 13.10.2013

Wenn ein Linienbus blinkt, um das beabsichtigte Ausfahren aus einer Haltstelle anzuzeigen, hat ihm das der Nachfolgeverkehr ungehindert zu ermöglichen (§ 26a Abs 2 StVO). Die Frage ist allerdings, wie weit dieses in der StVO verankerte Privileg von Omnibussen des Kraftfahrlinienverkehrs tatsächlich reicht. Kürzlich hatte sich der OGH mit der Frage zu beschäftigen, ob dieses Privileg auch noch dann gilt, wenn der Bus kurz nach der Haltstelle links einzubiegen und sich daher im linken Fahrstreifen einzureihen hat.

Ein Motorradfahrer näherte sich auf dem linken Fahrstreifen einer Bushaltestelle, aus der ein Linienbus durch Blinken das bevorstehende Ausfahren anzeigte. Auf dem rechten Fahrstreifen hatten mehrere Fahrzeuge angehalten, an denen der Motorradfahrer auf dem linken Fahrstreifen vorbei fahren wollte. Der Motorradfahrer vertraute darauf, dass der losfahrende Bus auf dem rechten Fahrstreifen bleibt, was ihm allerdings zum Verhängnis wurde: Der Bus wechselte auf den linken Fahrstreifen, um sich zum Linksabbiegen einzuordnen. Genau in diesem Augenblick wurde es zu eng, und es kam zur Kollision.

Vorab stellte der OGH in 2 Ob 110/13k fest, dass es sich beim Privileg des § 26a Abs 2 StVO um keine Vorrangregelung im Sinn des § 19 StVO handelt. Der Zweck dieser Bestimmung liegt darin, den öffentlichen Kraftfahrlinienverkehr zu erleichtern, wobei sowohl dem Busfahrer als auch den Lenkern nachkommender Fahrzeuge Pflichten auferlegt werden: "Allerdings soll der Omnibuslenker diese Erleichterung nicht verkehrsgefährdend durchsetzen können" (RS0075098). Danach erörterte der OGH hinsichtlich des linken Fahrstreifens weiter: "Der Lenker des nachkommenden Fahrzeuges darf sich keinesfalls bis zur Wahrnehmung des Gegenteils darauf verlassen, daß der Omnibus beim Abfahren von der Haltestelle nur den rechten Fahrstreifen befahren werde" (RS0075100). 

Zusammenfassend stellte der OGH fest, dass sich sowohl der Motorradfahrer als auch der Busfahrer nicht ganz an die Vorschrift des § 26a Abs 2 StVO gehalten haben: Der Motorradfahrer durfte nicht darauf vertrauen, dass der Bus auf dem rechten Fahrstreifen bleibt. Das "Linienbusprivileg" umfasst auch ein nach dem Abfahren aus der Haltestelle erforderliches Links-Einordnen, wenn es die Linienführung erfordert. Allerdings wäre auch der Buslenker in dieser Situation zu einer erhöhten Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen: Er hätte "sich nach dem Ausfahren aus der Haltestelle, aber vor Beginn des - wenn auch unmittelbar folgenden - tatsächlichen Linksabbiegemanövers noch einmal davon zu vergewissern, dass andere Straßenbenützer dadurch nicht gefährdet werden und daher - auch - ein zusätzlicher Blick auf nachfolgende Fahrzeuglenker erforderlich ist". Dieser durch den Busfahrer verabsäumte "zweite Blick" sei aber nicht so gravierend gewesen, wie der Verstoß des Motorradfahrers. Aus diesem Grund war eine Verschuldensteilung im Verhältnis 3:1 zu Lasten des Motorradfahrers angemessen.

 © Wilfried Pecka