Rechtsschutzversicherung: Schadeneintritt

Wilfried Pecka, 07.02.2019

Am 20.11.2006 schloss die Klägerin eine Lebensversicherung ab und vertraute auf eine gute Rendite. Eineinhalb Jahre später schloss sie bei einem anderem Versicherer eine Rechtsschutzversicherung ab. Die Lebensversicherung entwickelte sich nicht wie erhofft, und die Klägerin trat Ende 2016 von diesem Lebensversicherungsvertrag zurück, weil sie damals bei Abschluss des Vertrages nicht über ihre Rücktrittsrechte informiert worden sei (§ 165a VersVG, mittlerweile aufgehoben). Über eine Rückabwicklung der Lebensversicherung erhoffte sie sich eine höhere Auszahlung. Der Lebensversicherer lehnte den Rücktritt jedoch ab. Darauf wandte sich die Klägerin an ihre Rechtsschutzversicherung, um mit deren Hilfe gerichtlich gegen die Lebensversicherung vorgehen zu können. Die Rechtsschutzversicherung verweigerte die Deckung, weil der Rechtsschutzversicherungsvertrag erst eineinhalb Jahre nach dem Abschluss der Lebensversicherung abgeschlossen wurde. Daraufhin klagte die Klägerin die Rechtsschutzversicherung auf die Deckung. 

Zur Bestimmung des genauen Schadenstermins in der Rechtsschutzversicherung hat sich die "Verstoßtheorie" entwickelt: "Der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung liegt vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. [...] Ein Verstoß ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonfliktes in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann" (OGH-RS0114001). Das Erstgericht gab der Klägerin recht. Sowohl die mangelhafte Belehrung über das Rücktrittsrecht als auch die ungerechtfertigte Ablehnung des Rücktritts sei als Verstoß zu werten. Die Rechtsschutzversicherung ging gegen dieses Urteil in Berufung.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil ab und wies die Klage ab. Verstoß sei lediglich die behauptete fehlerhafte Belehrung über das Rücktrittsrecht. Die Ablehnung des 10 Jahre später erklärten Rücktritts sei bloß eine konsequente Folge des bereits früheren Verstoßes (nämlich der von der Klägerin behaupteten fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht). Wenn sich jemand auf die Unwirksamkeit eines Versicherungsvertrages beruft, kann der Verstoß nur im Abschluss dieses Versicherungsvertrages liegen. Ein Verstoß, der bereits vor dem Abschluss der Rechtsschutzversicherung gesetzt wurde, sei aber nicht versichert. Gegen dieses Urteil wandte sich die Klägerin mit einem Revisionsantrag an den Obersten Gerichtshof. 

Der OGH erwog in seiner Entscheidung 7 Ob 193/18k folgendes: Nach den Versicherungsbedingungen liegt der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung dann vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat (oder begonnen haben soll) gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. "War nach der Sachlage beim ersten Verstoß mit weiteren gleichartigen Verstößen zu rechnen, liegen in der Regel nicht mehrere selbständige Verstöße, sondern ein einheitlicher Verstoß im Rechtssinn vor". Bereits in der behaupteten fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht liege der Keim der späteren Auseinandersetzung über die Wirksamkeit des (erst nach 10 Jahren erklärten) Rücktritts. Die vom Lebensversicherer erklärte Ablehnung des Rücktritts und in weiterer Folge der Rückabwicklung begründen keinen selbständigen Verstoß mehr. Ein Versicherungsnehmer, der erst nach vielen Jahren seinen Rücktritt von seinem Lebensversicherungsvertrag auf Grund einer bei Vertragsabschluss fehlerhaften Rücktrittsbelehrung (§ 165a VersVG) erklärt, muss sich zwingend auf diesen damaligen Fehler berufen, weil sonst seinem Rücktritt die Rechtsgrundlage fehlen würde. Also kann der Verstoß nur bereits damals beim Abschluss der Lebensversicherung gesetzt worden sein - und das war aber eineinhalb Jahre vor dem Abschluss der Rechtsschutzversicherung. Die Klägerin verlor daher den Prozess und erhielt keine Deckung aus ihrer Rechtsschutzversicherung. 


Anmerkung: § 165a VersVG, auf Grund dessen dem Versicherungsnehmer einer Lebensversicherung ein unbefristetes "ewiges" Rücktrittsrecht zusteht, wenn er als Konsument beim Vertragsabschluss nicht ausreichend über sein Rücktrittsrecht aufgeklärt wurde, wurde mit Wirkung vom 30.09.2018 aufgehoben. Neue Gerichtsverfahren zu diesem Thema können daher nicht mehr entstehen.

 © Wilfried Pecka