Wenn der Arbeitgeber zu viel ausbezahlt

Wilfried Pecka, 15.05.2016

Wenn ein Arbeitnehmer plötzlich auffallend mehr Lohn ausbezahlt bekommt, wie er sich erwartet hat, ist das grundsätzlich einmal für ihn erfreulich. Allerdings dauert diese Freude oft nicht lange an: Hat der Arbeitgeber bei seiner Lohnverrechnung bloß einen Rechenfehler begangen und irrtümlich zuviel angewiesen, kann er den zu viel angewiesenen Betrag zurück fordern. Allerdings hat der Arbeitnehmer das Geld oft nicht mehr, weil er sich etwa aus lauter Freude über den unerwarteten Reichtum damit einen schönen Urlaub gegönnt hat. Muss er dann trotzdem einen Kredit aufnehmen, um das Geld dem Arbeitgeber zurückzahlen zu können? 

Um diese Frage beantworten zu können, muss ein genauer Blick auf die "Redlichkeit" des Arbeitnehmers geworfen werden: Musste ihm auffallen, dass sich sein Arbeitgeber bloß geirrt hat? Darf er darauf vertrauen, dass er vielleicht eine Gehaltserhöhung bekommen hat? Gemäß § 328 ABGB ist die Redlichkeit im Zweifel zu vermuten. Der Arbeitgeber muss also beweisen, dass sein Irrtum für den Arbeitnehmer erkennbar war. Dazu genügt, dass der Arbeitnehmer objektiv auch nur daran zweifeln musste, dass ihm der zu hohe Betrag vielleicht doch nicht zusteht. "Objektiv" bedeutet, dass es nicht einmal darauf ankommt, ob dem Mitarbeiter im konkreten Fall solche Zweifel gekommen sind, sondern es wird nach den Umständen des Einzelfalles geprüft, ob er sorgfältig genug darauf hätte achten müssen, dass die Zahlung an ihn vielleicht nur irrtümlich erfolgt ist. Dabei kommt es auch auf die Höhe des zu viel bezahlten Betrages an: Hohe Beträge müssen eher auffallen wie niedrige. 

Nun wurde einer Hausbesorgerin vom neuen Eigentümer der von ihr betreuten Liegenschaft plötzlich mehr als das doppelte des von ihr bisher gewohnten Entgelts ausbezahlt. Die Hausbesorgerin fragte beim Hausverwalter des neuen Eigentümers nach, ob das auch wirklich in Ordnung sei. Die mit der Entgeltverrechnung beauftragte Treuhandgesellschaft bejahte diese Frage. Danach fragte die Hausbesorgerin noch weitere zwei Mal nach, und ihr wurde jedes Mal erklärt, dass die Gehaltsabrechnungen richtig sind. Danach freute sich die Hausbesorgerin über ihre Gehaltserhöhung, bis der Hausverwaltung selbst aufgefallen ist, dass ihr ein Fehler bei der Entgeltverrechnung unterlaufen ist. Die Hausverwaltung forderte nun das komplette zu viel bezahlte Entgelt wieder zurück und klagte die Hausbesorgerin auf Rückzahlung. 

Das Erstgericht wies die Rückforderungsklage der Hausverwaltung ab. Die Hausbesorgerin hat zwar mehr wie das doppelte als bisher gewohnt bekommen, also hätte ihr das auffallen müssen. Allerdings hat sie drei Mal nachgefragt, ob das auch seine Richtigkeit hat, und sie hat drei Mal darauf eine bejahende Antwort bekommen. Daher durfte sie darauf vertrauen, dass sie die höheren Beträge rechtmäßig bekommen hat. Das Berufungsgericht sah das anders: Die Hausbesorgerin hat zwar korrekt gehandelt, indem sie drei Mal nachgefragt hat, ob die Beträge stimmen. Trotzdem hätte sie aber weiterhin Zweifel haben müssen, dass die enorme Steigerung ihres Einkommens doch nicht ganz richtig war. 

Die Unterschiede dieser beiden Entscheidungen beruhten auf dem Unterschied der objektiven oder subjektiven Redlichkeit. Das Erstgericht ging von der subjektiven Redlichkeit der Hausbesorgerin aus, die nach dreimaligem Nachfragen darauf vertrauen durfte, dass die jeweils bejahenden Antworten richtig sind. Das Berufungsgericht ging jedoch von der objektiven Redlichkeit aus: Auch wenn die Hausbesorgerin subjektiv auf die Richtigkeit ihrer Einkommenssteigerung vertraut hat, war die (irrtümliche) Überzahlung derart hoch, dass sie nach diesen Umständen des Einzelfalls doch noch weiterhin Zweifel an der Richtigkeit der Zahlungen gehabt haben müsste. Mit dieser Frage setzte sich der OGH in 8 ObA 9/16f auseinander: Darf noch auf objektive Maßstäbe des Einzelfalls zurückgegriffen werden, nachdem die Arbeitnehmerin auf Grund ihrer ausdrücklichen Rückfragen subjektiv gutgläubig gewesen ist? Sie hatte zwar tatsächlich Zweifel an den höheren Beträgen, auf die sie aber reagiert hat: "Aufgrund der wiederholten Zusicherungen der Hausverwalterin, die über Auftrag der Klägerin tätig geworden und dieser daher zuzurechnen ist, dass die Entgeltzahlungen in der erfolgten Höhe richtig seien, konnte die Beklagte auf die Richtigkeit der Abrechnung und die höhere Entlohnung im Zusammenhang mit dem Wechsel des Arbeitgebers vertrauen". Auch das Arbeitsvolumen (etwa die Zahl der zu putzenden Fenster) war für die Hausbesorgerin ein Indiz, dass ihre "neue" Entlohnung ihrem Arbeitsaufwand entspricht. Sie musste also keine Zweifel mehr an der Richtigkeit ihrer Einkommenserhöhung haben, und das Berufungsgericht hat auch nicht erklärt, was sie sonst noch unternehmen müssen hätte, um den Rückforderungsanspruch auszuschließen. Daher hob der OGH die Berufungsentscheidung auf, stellte das erstinstanzliche Urteil wieder her, und die Hausbesorgerin muss nichts zurückzahlen. 

 © Wilfried Pecka